»In zwei Dritteln aller Strafprozesse werden die Urteile zwischen den Beteiligten und dem Gericht abgesprochen. Nach vielen dieser sogenannten Deals würden Strafen verhängt, die man schwerlich als schuldangemessen bezeichnen kann«
- Klaus Tolksdorf, Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH) in der Berliner Zeitung
Anmerkung: Ach was, ist ja wohl maßlos übertrieben. Helmut Kohl hat sich in seiner Spendenaffäre ganz sicher nicht mit dem Gericht abgesprochen. Auch Ackermann hat sich nicht freigekauft — er war eben unschuldig. Und aktuell hat Klaus Zumwinkel sich freiwillig dem Gericht gestellt. Er wurde angemessen bestraft mit zwei Jahren Bewährung. Schließlich hat die Berichterstattung ihn »medial hingerichtet«, da ist Strafmilderung doch angebracht, oder? Gerechtigkeit eines Rechtsstaates ist eben, wenn im Berliner Gefängnis Plötzensee, jeder Dritte wegen Schwarzfahrens der öffentlichen Verkehrsmittel einsitzt und die Vermögenden faule Deals mit dem Gericht abschließen.
Bei Walter Benjamin heißt es in seinen Geschichtsphilosophischen Thesen, daß die hervorstechendste Eigenschaft der Historiker darin bestünde, sich in die Sieger einzufühlen.
Die Berichterstatter über den Zumwinkelprozess, was haben sie geschluchzt, über den armen Herrn, der öffentlich hingerichtet worden wäre. Man wünschte sich dann, von dieser Stimmung des Mitleids getragen, Herr Zumwinkel möge glimpflich davonkommen.
Ich würde nicht von faulen Deals, sondern von Prozeßökonomie reden.
Aus dem Selbstverständnis eines Herrn Tolksdorf ist es verständlich, er hält die Richterschaft für überdurchschnittlich intellegent. Leider erfordern aber gerade die Verfahren gegen die »Großen« sehr viel Erfahrung in komplizierten Sachverhalten, z.B. dem Zusammenspiel von deutschem Recht mit ausländischem Recht. Und wenn dann noch die vielen sich widersprechenden Gesetze aus dem Steuer‑, Wirtschafts- und Zivilrecht dazukommen, dann ist der normale Richter des Amtsgerichtes aber auch die Richter höherer Gerichte schlicht und einfach überfordert. Und da liegt es nahe, daß die Gerichte, einfach um lange Prozeßlaufzeiten mit ihren ganzen Beweisanträgen, Berufungen, Revisionen, etc. vermeiden und einen Schlußstrich ziehen wollen. Wenn dann z.B. ein Herr Zumwinkel als Homo Oekonomus abwägt und sich zu einem Geständnis entschließt, obwohl er in einen langjährigen Rechtsstreit vielleicht gewinnen könnte, dann wird das Gericht das annehmen. Das mag für Außenstehende vielleicht unfair aussehen, vermindert aber das Risiko für das Gericht. Der Fall ist für beide Seiten erledigt. Es kann nicht noch ein Europäischer Gerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht als letzten Instanzen das Urteil aufheben.
Ich hatte Anfang der Neunziger als einer der Ersten eine amerikanische Inc. im deutschen Handelsregister eingetragen. Als wir den Laden in Deutschland zumachten, war die Hilflosigkeit der deutschen Justiz schon rührend. Sie verstanden die internationalen Verflechtungen einfach nicht. Heute sieht das etwas anders aus, aber ich bezweifle, ob ein deutsches Gericht die Verflechtung einer Holding genau nachvollziehen könnte. Ich habe mich einmal für die Besitzer der Hypo Real Estate Holding interessiert. Da Kapitalanteile von mehr als 3% angezeigt werden müssen, sollten die Adhoc-Meldungen diese Kapitaleigner auch anzeigen. Dummerweise wird das ja auch getan, nur genügt es im angelsächsischem Recht, daß die juristische Person angezeigt wird. Und diese sitzen auf den Bermudas oder den Caymen-Islands (ca. 70%). Welches deutsche Gericht wäre jetzt inder Lage, diese Beteiligungsverhältnisse zu entflechten? Irgendwann stoßen sie immer wieder auf anonyme Firmen, deren Eigentümer der deutschen Justiz unbekannt bleiben. Das heißt, wenn es je ein Verfahren gegen HRE geben würde, ist die Wahrscheinlichkeit eines Deals extrem hoch.
@gerhardq: Deine Auslassungen in Ehren, aber trotzdem läuft es darauf hinaus, daß die Kleinen gehängt, die Großen aber laufen gelassen werden.
Übrigens steht es dem jeweiligen Richter frei, auf Expertenwissen zurückzugreifen, was bei größeren Prozessen üblicherweise auch getan wird.
Und daß ein Gericht die Verflechtungen einer Holding nicht unbedingt aufschlüsseln kann, spricht weniger gegen das Gericht als vielmehr für die kriminelle Energie der Holding-Betreiber. Übrigens würde ich die Sache da anders angehen und die Holding-Betreiber auffordern, die Besitzverhältnisse aufzuzeigen. ;-)
als wenn das was neues sein würde... leider
leider ist das wohl gängige Praxis