1920 veröffentlichte der deutsche Maler und Schriftsteller Erich Scheurmann ein Buch mit dem Titel: »der Papalagi — Die Reden des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiavea«. In der Sprache der Samoa bezeichnet der Papalagi hierbei den »Weißen Mann«. In diesem Buch geht es um einen fiktiven Reisebericht eines Südseehäuptlings, welcher ein halbes Jahr durch Europa gereist ist, um dann anschließend seinem Stamm in der Südsee davon zu berichten. Statt jedoch sein Volk von den großen, zivilisierten Errungenschaften der westlichen Industrieländer zu erzählen, warnt er es. Der Papalagi sei zwar reich an Wissen, Macht und Einfluss — jedoch unglücklich und unzufrieden mit seinem Leben. In einer kindlich-naiv anmutenden Sprache wird herbe Zivilisationskritik geübt, welche bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt hat.
»Wie denkt ihr über einen Mann, der eine Traube Bananen in Händen hält und gibt dem nicht eine einzige Frucht, der da hungernd darum bittet? Und wenn er auch hundert Matten hat, er gibt nicht eine dem, der keine hat. Er macht dem anderen eher noch eine Schuld und einen Vorwurf daraus, daß dieser keine hat. Es ist der Kampf, den alle leiden; der allen die Freude am Leben zernagt. Die haben, sollen geben, wollen aber nichts geben. Die nichts haben, wollen selber haben, bekommen aber nichts.«
»Jeder Papalagi hat einen Beruf. Aus allem Tun macht er einen Beruf. Beruf haben heißt: nur laufen, nur schmecken, nur riechen, nur kämpfen können, immer nur eines können. Denn nichts fällt jedem Menschen so schwer, als immer genau das gleiche zu tun. Es gibt in Europa wohl mehr Menschen, als Palmen auf unseren Inseln sind, deren Gesicht aschgrau ist, weil sie keine Freude an ihrer Arbeit kennen.«
»Du mußt Geld haben. Du brauchst das Geld wie das Essen, Trinken und Schlafen. Je mehr Geld du hast, desto besser ist dein Leben. Darum will auch jeder viel Geld haben. Und jeder mehr als der andere. Darum die Gier danach und das Wachsein der Augen auf Geld zu jeder Stunde. Denn das Gewicht eines Mannes in der weißen Welt ist nicht sein Adel oder sein Mut oder der Glanz seiner Sinne, sondern die Menge seines Geldes. Und du erkennst bald, daß das Geld ihn krank gemacht hat, daß alle seine Sinne vom Geld besessen sind.«
»Jeder Papalagi hat einen Beruf. Aus allem Tun macht er einen Beruf. Beruf haben heißt: nur laufen, nur schmecken, nur riechen, nur kämpfen können, immer nur eines können.«
Es ist schon eine Weile her, da ich den Papalagi gelesen habe — daher freut mich gerade das obige Zitat, denn spiegelt es doch die Fachidiotie wider, die in einer arbeitsteiligen Gesellschaft bindend ist. Und dann sitzen sie in Jauchs RTL-Sendung, erzählen großkotzig von ihrem ach so spannenden Beruf, den sie als Berufung verstehen, erklären zudem, wie lange das Studium dazu war, um sich danach auch wirklich als Internist, Psychologe oder Ressortleiter schreiben zu dürfen und scheitern letztendlich bei 2000 Euro, weil sie nicht wissen, ob der »Bundeskanzler«, der »Bundestagspräsident«, der »Bundespräsident« oder der »Bundesratspräsident« höchster Mann im Staate ist.
Dieses »Immer-nur-ein-bißchen-können«, welches als große Notwendigkeit unserer Zeit verstanden wird, zeugt eine Gesellschaft von beschränkten Fachidioten, von Charakteren, die ihre Materie perfekt beherrschen, aber in anderen Bereichen des Lebens verkrüppelte Gestalten bleiben. Wen wundert es da, dass ethische Kategorien auf der Strecke bleiben? Denn Ethik ist etwas, das kaum fachidiotische Aufteilung kennt, d.h. sie ist beinahe nirgends Gegenstand eines Berufes. Und solange sich der Mensch der modernen Gesellschaft nur auf seine Berufsbeschränktheit fixiert, wird auch das Ethische kein Sujet des Diskurses sein.
So besucht man einen Facharzt, vielleicht einen Psychologen, bei dem man merkt, dass er seinen erlernten Beruf versteht — aber kommt das Gespräch auf etwas anderes, bleibt es nicht im Kleinen, sondern im Großen, werden also die Depressionen am Zeitgeist festgemacht und beginnt man dann über die Ausartungen des Zeitgeistes zu sprechen, merkt man mehr und mehr, wie wenig Wissen sich hinter der Psychologenmaske verbirgt. Alles was den Rahmen der üblichen Aufgaben sprengt, wird nicht mehr mit Perfektion beherrscht — die Fakten außerhalb der Praxis scheinen ihm mangels Interesse unerheblich und er versucht zurückzukommen ins Zentrum seiner Berufung.
Eine Sache perfekt zu beherrschen bedeutet viele Sachen nicht zu beherrschen...
In der etwas aktuelleren Literatur (1979; Douglas Adams; Per Anhalter durch die Galaxis) wird dies ebenso (pointiert) thematisiert:
»Dieser Planet hat [...] ein Problem: die meisten seiner Bewohner waren fast immer unglücklich. Zur Lösung dieses Problems wurden viele Vorschläge gemacht, aber die drehten sich meistens um das Hin und Her kleiner bedruckter Papierscheinchen, und das ist ja einfach drollig, weil es im großen und ganzen ja nicht die kleinen bedruckten Papierscheinchen waren, die sich unglücklich fühlten.
Und so blieb das Problem bestehen. [...]«