Der Demographische Wandel

Die Annahme
Der Demographische Wandel bezeichnet den Bevölkerungsrückgang in Deutschland. Die Annahme ist, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden und zugleich die Menschen, durch eine gesteigerte Lebenserwartung immer älter werden.  Das statistische Bundesamt hat 2006 die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung herausgebracht, nachdem die Bevölkerungszahl von 82,5 Millionen Menschen im Jahre 2005 auf bis zu 69 Millionen Menschen im Jahre 2050 abnehmen werde. Weiterhin werde es im Jahr 2050 doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen in Deutschland geben; über 30% werden 65 Jahre oder älter und circa 15% unter 20 Jahre alt sein. Zudem steige die Bevölkerung der über 80 Jährigen von 4 auf 10 Millionen Menschen. Damit werde die Bevölkerung im Erwerbsalter stark durch die Älteren geprägt sein. Das statistische Bundesamt geht dabei von folgenden Annahmen aus:

  1. Die Geburtenhäufigkeit in Deutschland bleibt auf einem konstant niedrigen Niveau von derzeit 1,4 Kinder pro Frau.
  2. Die Lebenserwartung steigt. Männer werden im Jahre 2050 eine durchschnittliche Lebensdauer von 84,5 Jahren und Frauen von 89,8 Jahren erreichen. Das sind für Männer 9,5 Jahre beziehungsweise für Frauen 8,3 Jahre mehr als 2002/2004.
  3. Die Nettozuwanderung werde zwischen 100.000 und 200.000 pro Jahr liegen und somit den Bevölkerungsrückgang in Deutschland nicht kompensieren können.
Der kausale Zusammenhang
Ein einfacher kausaler Zusammenhang?

Nach der Veröffentlichung der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung im Jahre 2003 gab es in Medien, Politik und Wissenschaft eine helle Aufregung. Mittlerweile wurde es in der Politik als Problem definiert, welches einer Lösung bedarf. Nur wie diese Lösung auszusehen hat, darüber gibt es in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft heftige Kontroversen. Häufig wird die Debatte über den Demographischen Wandel in Deutschland instrumentalisiert, um eigene Interessen und Ziele durchzusetzen.

Demagogie und Interessen
In Deutschland werden das »Demographische Problem« sowie die »Globalisierung« als die zwei Hauptargumente angeführt, um marktwirtschaftliche Reformen sowie Sozialabbau, im Sinne einer neoliberalenAls Neoliberalismus wird die wirtschaftspolitische Theorie bezeichnet, welche den
Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen minimieren will, es jedoch als
notwendig ansieht, das der Staat die Sicherstellung funktionierender Märkte vorantreibt.
Ideologie, zu legitimieren. Demzufolge leben die Alten auf Kosten der Jungen, da sie eine vermeintlich üppige Rente haben. Von daher müsse eine Rentenkürzung, eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie eine Umschichtung hin zu privater Altersvorsorge stattfinden, da die staatlichen Rentensysteme in Zukunft hoffnungslos überlastet sein würden. Nutznießer einer privaten Altersvorsorge wären in erster Linie Banken und Versicherungen. Hans Werner Sinn, Dampfplauderer der neoliberalen Ideologie und Direktor des Münchner IFO Instituts, schlug vor, dass nur, wer mindestens drei Kinder großziehe und durchschnittliche Rentenbeiträge gezahlt hätte, dürfe in Zukunft noch die volle staatliche Rente erhaltenHans Werner Sinn. Das demographische Defizit. In:
Demographie und Wohlstand. Christian Leipert (Hg.). S. 57-88
. Parallelen zur Verleihung des Mutterkreuzes im Nationalsozialismus an Müttern mit mindestens vier Kindern sind hier eindeutig. Weiterhin werden Kinder hier als Privateigentum ihrer Eltern betrachtet. Zudem darf Meinhard Miegel, Sprecher des Bürgerkonvents, einer neoliberalen Vereinigung sowie Lobbyist der privaten Versicherungswirtschaft, in diversen Medien als »unabhängiger Rentenexperte« auftreten. Er rechnet z.B. aus, dass ein im Jahre 2040 geborener Mann für 100 Euro Rentenbeitrag im Jahr 2107 gerade noch 89 Euro Rente bekommt. Auch die INSM geht zunächst von eindeutigen »Fakten« und nicht von einer Prognose aus. Deutschland werde zu einem »Land der Alten« dramatisiert die INSM auf ihrer Homepage. Die Lösung ist auch hier ganz klar, die private Altersvorsorge. Auch die Medien sprangen auf den Zug der Dramatisierung auf, um marktwirtschaftliche Reformen von der Politik zu fordern. Ganz vorn dabei – der Spiegel. Am 5. Januar 2004 stand auf der Titelseite »der letzte Deutsche. Auf dem Weg zur Greisenrepublik«. Im Leitartikel »Land ohne Lachen« werden vor allem Befürworter einer privaten Altersvorsorge zitiert, wie »Sozialreformer« Hans Werner Sinn, der konservative Verfassungsrichter Udo Di Fabio, der Junge Union Vorsitzende und zugleich INSM Kopf Philipp Missfelder, CDU Kanzlerin Merkel, der DIHK Präsident Ludwig Georg Braun sowie Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, der auch schon mal davon sprach, dass die Einwanderung aus anderen Nationen und Kulturen die nationale deutsche Identität gefährdevgl. Herwirg Birg. Die demographische Zeitenwende. 2003. Weit gefehlt »Sturmgeschütz der Demokratie« zu sein, belegt der Spiegel damit weiterhin, vornehmlich Wirtschafts – und Arbeitgeberinteressen zu vertreten.

Aber auch die Politik bedient sich des demographischen Wandels und instrumentalisiert sie, um unbequeme Reformen durchzudrücken. Die Reform der Rente mit 67 in Deutschland wurde z.B. mit dem demographischen Wandel gerechtfertigt. Da die Menschen länger gesund leben würden, könnten sie auch länger arbeiten, so die Begründung. Das Problem ist hierbei, dass das Arbeitsaustrittsalter und das tatsächliche Renteneintrittsalter heute kaum zusammen fallen. Sprich, viele deutsche Unternehmen beschäftigen kaum ältere Menschen, sondern entlassen sie eher im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen vorzeitig und ersetzen sie durch jüngere Arbeitskräfte. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt - und Berufsforschung (IAB) vom 19.12.2007, waren Ende 2004 nur rund fünf Prozent aller 64-jährigen Männer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bei 64-jährigen Frauen lag die Beschäftigungsquote bei rund drei Prozent. Trotz des Wissens darüber wurde die Rente mit 67 im Jahre 2007 eingeführt. Insofern bewirkt die Rente mit 67 nur eine Rentenkürzung der Betroffenen, da sie mit 50 oder 55 vorzeitig in Rente geschickt werden und demzufolge mit Abschlägen bei ihrer Rente rechnen müssen. Altersarmut ist hierbei die langfristige Folge. Gleichzeitig zwinge der demografische Wandel zu einer aktiveren Bevölkerungs- und Familienpolitik, wird behauptet. Nur wenn auf der einen Seite das Katastrophenszenario von der Bevölkerungsexplosion der Welt beschworen wird, wieso braucht Deutschland dann mehr Kinder? Der Verdacht liegt nahe, das es eben darum geht, mehr »deutsche« Kinder in die Welt zu setzen. Und unter denen am besten auch nur welche aus gebildeten und reichen Familien. Das Elterngeld, z.B., unterstützt einseitig gutsituierte Familien und eben nicht Familien aus ärmeren Haushalten.

Scheindebatte
Die große mediale, wissenschaftliche und politische Aufregung über das demographische Problem in Deutschland, ist laut ButterweggeChristoph Butterwegge. Demographie als Ideologie. 2006, eine reine Schein - und Phantomdebatte um vom wahren Problem abzulenken. Der Konflikt zwischen Alten und Jungen werde bei dem Diskurs künstlich erzeugt, denn es gibt vielmehr einen gesellschaftlichen Konflikt zwischen armen und reichen Menschen in Deutschland. Der gesellschaftliche Reichtum war noch nie so groß wie heute: er ist nur ungerecht verteilt. Laut dem 2. Armuts – und Reichtumsbericht der Bundesregierung sind die Privatvermögen in Deutschland sehr ungleichmäßig verteilt. Während die unteren 50% der Haushalte nur über etwas weniger als 4% des gesamten Nettovermögens verfügen, entfallen auf die vermögendsten 10% der Haushalte knapp 47%. Der Anteil des obersten Zehntels ist bis 2003 gegenüber 1998 um gut 2 Prozentpunkte sogar noch gestiegen. Gleichzeitig hat die Überschuldung privater Haushalte zwischen 1999 und 2002 zugenommen: Die Gesamtzahl der überschuldeten Privathaushalte erhöhte sich von 2,77 Mio. um 13% auf 3,13 Millionen Menschen. Wie die PISA Studie, bestätigte auch die 1. World Vision Kinderstudie, dass in Deutschland die soziale Herkunft den Bildungsverlauf weitgehend bestimmt. Gymnasien besuchen nur 1% der Kinder aus der Unterschicht, aber 18% der Kinder aus der Oberschicht. Weiterhin leben von den 11,44 Millionen Kindern unter 15 Jahren knapp 2 Millionen in Hartz 4 Haushalten. Auf dem Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs im Frühjahr 2007 sank zwar die Arbeitslosigkeit, die Kinderarmut nahm jedoch zu.

Monitor Am 10. Januar 2008 sorgte ein Beitrag des ARD – Magazins Monitor zudem für großen Wirbel. Der Beitrag zeigte auf, wie bei Kleinstrentnern die Erträge einer Riester – Rente im Alter auf die Grundsicherung angerechnet werden und demzufolge die Betroffenen mit Leistungskürzungen rechnen müssen. Da die Grundsicherung letztlich nichts anderes wie eine Sozialhilfe im Alter ist, werden auch hier alle Vermögens - und Einkommenswerte herangezogen, um den Bedarf zu prüfen. Hierzu zählt auch die Riester – Rente. Und da künftig ein Durchschnittsverdiener rund 35 Jahre erwerbstätig sein muss, um überhaupt einen Rentenanspruch in Höhe der Grundsicherung zu erhalten, hätte er das Geld statt in Riester – Rente anzulegen auch gleich aus dem Fenster hinauswerfen können. Zudem entfernt sich auch hier die Politik, wie bei der Rente mit 67, immer mehr von der Realität am Arbeitsmarkt. Die Vorstellung einer 45 jährigen, durchgängig sozialversicherungspflichtigen, Beschäftigung ist im Zeitalter von Mini – Jobs, Zeitarbeit, hoher Arbeitslosigkeit, befristeten Arbeitsverträgen usw., eine reine Fiktion.  »Arm trotz Riester«, wie der Monitor Beitrag hieß, sowie Altersarmut werden zukünftige Folgen sein. Dabei liegt eine Verunsicherung und Angstmacherei über die staatliche Grundsicherung, durchaus im Interesse von Lobbyisten der Banken und Versicherungen, schließlich verdienen sie daran, wenn immer mehr Menschen fürs Alter zusätzlich privat vorsorgen.

Fazit
Zunächst einmal sind Prognosen, über die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland, über die nächsten 50 Jahre Kaffeesatzleserei. Wer kann schon sagen, was in den nächsten 50 Jahren alles passieren wird? Die gesamte Annahme geht im Kern von der Kontinuitätsthese aus, sprich wenn alles so bleibt wie heute könnte es so aussehen. Hätte jemand 1950 die Bevölkerungszahl der Deutschen im Jahre 2000 schätzen müssen, hätte er maßgebliche Faktoren nicht miteinbeziehen können. Zu nennen wären hier: die Erfindung und Verbreitung der Antibabypille, die Anwerbung Millionen ausländischer Arbeitskräfte, den Fall der Mauer einschließlich der Grenzen im Osten und somit Zuwanderung von Millionen Übersiedlern sowie die Individualisierung der Lebensentwürfe. Im Bericht steht wörtlich:
»Die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung ist KEINE Prognose, welche die Zukunft bis 2050 vorhersagt. Sie zeigt vielmehr, wie sich die Bevölkerungszahl und die Bevölkerungsstruktur unter bestimmten Annahmen entwickeln würdenBericht des statistischen Bundesamtes 2006 in der
11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Seite 9
.« Insofern würde eine realpolitische Veränderung einer oder mehrerer Annahmen der Prognose den Bevölkerungsrückgang verlangsamen oder sogar aufhalten können. Als Beispiele wären hier genannt: eine größere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen, eine entsprechende Einwanderungspolitik, mehr und vor allem kostenlose Kita – Plätze, weniger Anforderungen von Flexibilität und Mobilität an die Arbeitnehmer – denn wer ständig mobil und flexibel sein muss und zudem ständig Angst um seinen Arbeitsplatz, und damit verbunden seiner finanziellen Zukunft hat, der gründet eher selten eine Familie. Befristete Arbeitsverträge, vor allem die dreimonatigen, gehören wieder abgeschafft und gesicherte Arbeitsverträge wieder eingeführt, um den Arbeitnehmern eine gesicherte finanzielle Zukunft zu geben. Außerdem wäre ein Mentalitätswandel der deutschen Unternehmen dringend vonnöten. Frauen die schwanger sind oder Kinder haben, werden bei deutschen Unternehmen noch immer systematisch ausgesiebt. So werden sich beruflich erfolgreiche Frauen dreimal überlegen, Kinder zu bekommen, weil sie damit ihren Arbeitsplatz und ihre berufliche Karriere aufs Spiel setzen können.

by epikur



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